„Ich hetze nur noch zwischen irgendwelchen Terminen hin und her. Von der Arbeit zur Kita, von der Kita zum Arzt. Von da wieder weiter. Und irgendwo dazwischen soll ich auch noch einkaufen, putzen und mit dem Kleinen spielen“. Dieser Blick in den Alltag Alleinerziehender ist keine Seltenheit. Und diese Dauerbelastung hinterlässt Spuren.
Die Anzahl Alleinerziehender wächst bundesweit stetig. Neben finanziellen Herausforderungen stehen Alleinerziehende oft aufgrund von schwierigen Trennungen, mühseligem Zeitmanagement und nicht zuletzt aufgrund der Alleinverantwortung für die Familie vor großen emotionalen Aufgaben.
„Kinder und Jugendliche aus Einelternfamilien zeigen häufiger als ihre Altersgenossen aus Paarfamilien Beeinträchtigungen hinsichtlich Gesundheit sowie sozialer und kognitiver Kompetenzen“, sagt die Geschäftsführerin des Kinderzentrums Mecklenburg Kristina Timmermann. Die Erfahrungen als Trennungskind hätten auch Auswirkungen auf das Wohlbefinden im Erwachsenenalter. Ziel des Trainings ist es daher, diesem entgegenzuwirken und vorzubeugen.
Seit 2019 wird das Training in Schwerin angeboten. Mit Ausnahme der Ferien trifft sich jeden Dienstag am späten Nachmittag eine kleine Gruppe alleinerziehender Mütter und Väter mit wir2-Trainerinnen. Diplompädagogin Ina de Groot ist eine der beiden praxiserfahrene Pädagoginnen mit einer zertifizierten Ausbildung als Trainerin im wir2 Bindungstraining: „Alleinerziehende leiden häufiger als andere Eltern unter chronischen Beschwerden, Bluthochdruck, oder Angsterkrankungen“, sagt sie. Neben der Alltagsbelastung fehle es zudem häufig an Geld und vor allem auch an Beziehungen. Einsamkeit und Armut seien die beiden großen psychosomatischen Krankmacher. „Wir holen die Eltern dort ab, wo sie sind“, sagt Ina de Groot.
Während der Gruppensitzungen werden typische Konflikte Alleinerziehender z.B. in Rollenspielen und Gruppenübungen aufgegriffen und aus pädagogischer Sicht betrachtet. „Hier geht es vor allem um die Trennung der Elternverantwortung von der Ebene des Paarkonfliktes“, erklärt die Trainerin. Schließlich werden mittels kindgerechter Eltern-Kind-Übungen für zuhause die feinfühlige Wahrnehmung der Bedürfnisse des Kindes und die Lösung bestehender Konflikte gefördert. „Entscheidend und besonders an wir2 ist, dass im Gruppenprozess Emotionen angesprochen und in beziehungsstärkenden Übungen mit dem Kind zuhause vertieft werden“, ergänzt sie.
Das von der Walter Blüchert Stiftung entwickelte Programm ‚wir2‘ ist wissenschaftlich evaluiert und hat sich bereits in vielen Bundesländern etabliert. Es gilt als nachhaltig wirksames Elterntraining für Alleinerziehende mit Kindern zwischen drei und zehn Jahren. Das Programm wurde von der Nationalen Präventionskonferenz und dem GKV-Bündnis für Gesundheit als Modell guter Praxis empfohlen.
Initiiert wurde die Zusammenarbeit der Walter Blüchert Stiftung mit dem Kinderzentrum Mecklenburg von Mitgliedern des Schweriner Soroptimist International (SI) Club, die das Projekt nach Schwerin holten und im Kinderzentrum den optimalen Kooperationspartner zur Durchführung dieses Projekts sehen. Die praktische Umsetzung des Trainings erfolgt im Rahmen von vier Modulen: Emotionale Selbstwahrnehmung - Wahrnehmung der Bedürfnisse und Gefühle des Kindes - Wahrnehmung der Gesamtsituation in der Familie - Suchen und Finden von neuen Lösungen im Alltag.
Mit Erfolg. „Hier konnte ich lernen, dass ich nicht alles schaffen muss. Damit hat für mich etwas Neues begonnen“, resümiert eine alleinerziehende Mutter. „Ich habe konkrete Erziehungstipps bekommen, die mir den Alltag mit meinem Kind erleichtern“, sagt sie.
Das Bindungstraining umfasst 20 wöchentliche Gruppensitzungen zu je 90 Minuten. Parallel wird eine Kinderbetreuung angeboten, damit die Eltern ohne Stress an den wir2-Sitzungen teilnehmen können und ihr Kind/ihre Kinder gut versorgt wissen. Sowohl die Teilnahme am Programm als auch die Kinderbetreuung ist für die Alleinerziehenden kostenlos. Das Programm wird ausschließlich über Spenden finanziert.