„Das Boot“ in Wismar bleibt wichtiger Anker für Menschen mit psychischen Belastungen

Die Begegnungsstätte an der Lübschen Straße in Wismar ist schön beleuchtet. Sie strahlt eine wohltuende Wärme aus in dieser dunklen Jahres- und Pandemiezeit. Für viele Menschen mit seelischen Erkrankungen in Wismar ist sie eine wichtige Anlaufstelle, in der sie regelmäßig Hilfe und Beratung finden. Eine große Herausforderung in dieser Zeit der Einschränkungen.

Hilfsangebote sichern feste Tagesstruktur
„Das Coronavirus hat das Leben von Menschen mit seelischen Behinderungen bzw. Belastungen besonders erschwert“, sagt Sandra Rieck, Geschäftsführerin des Vereins „Das Boot“ in Wismar. Große Ängste und Unsicherheiten seien die Folge. Menschen mit seelischen Erkrankungen und geistigen Behinderungen hätten es ohnehin nicht leicht. „Sie brauchen eine feste Tagesstruktur. Dazu gehören auch die gewohnten Hilfsangebote.“ Die Begegnungsstätte als Einrichtung der Behindertenhilfe sei deswegen weiterhin offen, bis auf kurze Schließungszeiten im Lockdown. „Wir haben hier genug Platz, um ausreichend Abstand zu halten. Viele Angebote können also unter Einhaltung der Hygieneregeln stattfinden.“

Kontakte sind wichtig und können nicht auf Null gefahren werden
Der Verein zur Förderung seelischer Gesundheit und Integration „Das Boot“ Wismar e.V. kümmert sich seit 30 Jahren um Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen oder Behinderungen. Neben Leistungen in den Bereichen Wohnen, Selbstversorgung, Tagesstruktur, Arbeit-, Freizeit- und Kontaktgestaltung bietet „Das Boot“ Unterstützung in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens an. In den vergangenen Jahren kamen Angebote für Familien hinzu, die Unterstützung von Obdachlosen sowie Hilfen für Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung.

Mit kreativen Alternativangeboten durch den Lockdown
Ein offenes Ohr für all diese Menschen zu haben sei gerade jetzt unverzichtbar. „Wir können Kontakte nicht auf null fahren“, sagt Rieck, „sondern müssen sie in anderer Form herstellen.“ Im ersten Lockdown im Frühjahr hatte der Verein nicht nur viele  kreative Angebote, wie zum Beispiel eine Freiluftkonzertreihe, ins Leben gerufen. In großer Anzahl wurden Masken genäht – von Ehrenamtlichen aus dem nun ruhenden Sprachcafé und den Besucher*innen der Begegnungsstätte, in den Tagesstätten und auch durch Kolleg*innen zu Hause. Verabredungen zu gemeinsamen Spaziergängen wurden mit Einzelnen getroffen. Es wurden zusätzliche Telefone angeschafft, um für Hilfesuchende erreichbar zu sein. Durch unzählige Telefongespräche konnte so manche Not erstmal kompensiert werden. Aber für bestimmte Themen sind Telefonate oder Online-Angebote nicht geeignet, sie ersetzen eben keine echten Kontakte. Gerade Menschen mit Depressionen, Ängsten oder Suchterkrankungen verlieren mit den Gruppentreffen einen wichtigen Anker in ihrem Leben. „Sie brauchen den Austausch, sonst fallen sie zurück in alte Muster oder Isolation.“

Lockdown ist Stresstest für Psyche aller Menschen
An der Fensterscheibe der Begegnungsstätte klebt ein großer Zettel mit einer langen Liste wichtiger Telefonnummern und Kontakten: vom Bürgertelefon des Landkreises über die Telefonseelsorge, das Kinder- und Jugendtelefon, das Elterntelefon bis hin zur Drogen- und Suchtberatung. „Die Pandemie hat definitiv Auswirkungen auf unsere seelische Gesundheit. Mitten unter uns sind Menschen in Not. Diese Nummern sind für alle, die Hilfe brauchen oder helfen wollen“, so Rieck. Selbst für psychisch stabile Menschen sei die derzeitige Situation ein Stresstest, sagt sie. Innere Unruhe, Ängste oder Schlaflosigkeit seien körperliche Stresssymptome. „Wenn soziale Kontakte, von denen manche Menschen ohnehin nur wenige haben, stark minimiert werden müssen, Schulen und Kitas schließen, Läden und Restaurants auch als Treffpunkte nicht mehr zur Verfügung stehen, Isolation sogar durch Quarantäne entsteht und eigene Existenzen wirtschaftlich bedroht sind, dann ist dies ein Stresstest für unsere Psyche.“

Manchmal gelinge es nicht, die Krise aus eigener Kraft zu überwinden. Dann würden  professionelle Beratung und Begleitung notwendig. „Besonders Menschen mit psychischen Erkrankungen sind in diesen Zeiten auf die Unterstützung durch Netzwerke angewiesen“, so die Geschäftsführerin.

Mitarbeitende des Vereins immer erreichbar
75 Mitarbeiter*‘innen sind unter dem Dach des Vereins beschäftigt. Sie seien hochmotiviert und zugleich extrem gefordert, die Klienten durch die Krise zu begleiten. So würden im Bereich Ambulant Betreutes Wohnen 140 Menschen zuhause in ihrem Alltag einzeln begleitet. „Sie leben häufig sehr isoliert und haben wenig bis keinen Kontakt zu Familienangehörigen. Wir sind dann so etwas wie ihre Familie“, sagt Sandra Rieck. Zu Weihnachten gebe es normalerweise immer eine schöne gemeinsame Feier. Die muss in diesem Jahr ausfallen. Unternehmer aus Wismar hatten eine tolle Idee, berichtet Rieck: Unter Federführung der Firma Hammerich wurden Weihnachtspäckchen gepackt mit regionalen Produkten, wie zum Beispiel Stollen, Marmelade, Schokolade und Kaffee. „Diese schöne und warme Unterstützung hilft auch unseren Mitarbeiter*innen, in besonderen Zeiten ganz für die Menschen da zu sein“, sagt die Geschäftsführerin dankbar.

Ziel des Vereins sei es, Menschen in Not auch während der Einschränkungen zuverlässige, umfassende Hilfe und Beratung zu gewährleisten. Unter Wahrung aller Anforderungen des Infektionsschutzes sollen die Angebote weitgehend offen gehalten werden und dort, wo es notwendig ist, alternative Betreuungs- und Beratungsangebote geschaffen werden. Der Schutz der Mitarbeiter*innen und Bewohner*innen habe oberste Priorität. Um den zu gewährleisten, würden seit Mitte Dezember regelmäßig Tests durchgeführt. 

„Mir ist es wichtig, dass die Menschen uns wie immer erreichen. Es gibt immer einen Weg, auch in der Dunkelheit einen Lichtstrahl zu finden. Sie sind nicht alleine.“

Stephanie Böskens, Der Paritätische Mecklenburg-Vorpommern
Zuerst veröffentlicht im Verbandsmagazin, Ausgabe 1/2021