Zugang zu Leistungen der Eingliederungshilfe für aus der Ukraine Geflüchtete

Hilfebedürftige Geflüchtete aus der Ukraine sollen von Anfang Juni an wie anerkannte Asylsuchende finanziell unterstützt werden. Der Zugang zu Leistungen der Eingliederungshilfe wird unterschiedlich aufgefasst und bedarf nach Ansicht des Paritätischen einer dringenden Klärung.

Auf den sog. Rechtskreiswechsel hatten sich Anfang April die Regierungschefinnen und -chefs der Länder und der Bundeskanzler geeinigt. Der Bundestag hat am 12. Mai Rechtsänderungen beschlossen, die dies ermöglichen sollen. 

Herausforderungen sich beim Zugang zu Leistungen der Eingliederungshilfe
Mit dem Rechtskreiswechsel besteht für Menschen mit Behinderungen, die aus der Ukraine geflüchtet sind, im Grundsatz auch der Zugang zu Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX. Aktuell aus der Ukraine Geflüchtete erhalten u.a. Leistungen nach § 6 Abs. 2 AsylbLG, sofern sie diese benötigen. Es besteht dabei ein Anspruch auf Leistungen, die Leistungen der Eingliederungshilfe entsprechen. Entschieden wird über solche Leistungen von den Behörden, die für das AsylbLG zuständig sind.

Bei Leistungen nach § 6 Abs 2 AsylbLG besteht kein Ermessensspielraum auf Seiten der Behörden, sofern die Leistungen benötigt werden. Mit dem Rechtskreiswechsel liegt die Zuständigkeit künftig beim zuständigen Träger der Eingliederungshilfe und es besteht ein grundsätzlicher Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe. Das ist zu begrüßen. Allerdings regelt § 100 Abs. 1 SGB IX, dass Ausländer*innen, die sich tatsächlich in Deutschland aufhalten, Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten können, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Es liegt somit im Ermessen des Trägers der Eingliederungshilfe, ob Leistungen gewährt werden. Ein ermessensfreier Zugang ist nur vorgesehen für Ausländer*innen, die im Besitz eines befristeten Aufenthaltstitels sind und sich „voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten“ (§ 100 Abs 1 Satz 2 SGB IX).

Fragen bleiben offen
Offen ist nun die Frage, ob bei denjenigen, die einen Antrag auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Abs. 1 AufenthG stellen, davon ausgegangen werden kann, dass sie sich „voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten.“ (ebd.) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales geht davon aus und hat in einem Informationsschreiben an die Obersten Landessozialbehörden darüber informiert, dass die aus der Ukraine geflüchteten Menschen mit Bedarf an Eingliederungshilfe einen Rechtsanspruch auf den Zugang zu entsprechenden Leistungen haben, wenn sie Inhaber*innen einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Abs 1 AufenthG sind. Diese schnelle Klarstellung ist sehr zu begrüßen. Es ist allerdings nicht sichergestellt, dass diese Rechtsauffassung im gesamten Bundesgebiet von allen Kostenträgern geteilt wird.

Paritätische Gesamtverband drängt auf rechtliche Änderung
Der Paritätische Gesamtverband hat in der Diskussion um die rechtlichen Änderungen daher darauf gedrängt, die in § 100 SGB IX normierten Zugangsvoraussetzungen abzuschaffen. Um Auseinandersetzungen um den Zugang zu Leistungen zu vermeiden, ist aus Sicht des Verbands eine rechtliche Änderung notwendig. Darüber hinaus hält es der Paritätische für grundsätzlich sachlich nicht nachvollziehbar, dass über § 100 SGB IX der Zugang zu Leistungen der Eingliederungshilfe abhängig vom Aufenthaltsstatus unterschiedlich geregelt ist.

Eine Änderung des § 100 SGB IX wurde vom Bundestag bisher nicht beschlossen. Es bleibt nun zu beobachten, welche konkreten Herausforderungen sich beim Zugang zu Leistungen der Eingliederungshilfe in den nächsten Monaten stellen.

Sofern unterschiedliche Auffassungen über den Zugang zu Leistungen im Einzelfall bestehen, ist ggf. der Hinweis auf eine Änderung im SGB XII hilfreich, die der Gesetzgeber nun vornehmen möchte: In einem neuen § 146 SGB XII wird in Absatz 1 klargestellt, dass es sich bei denjenigen, die erkennungsdienstlich behandelt wurden und im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Abs 1 AufenthG sind, um Personen handelt, die sich voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten. Es wird dabei auf § 23 Abs. 1 Satz 4 SGB XII verwiesen: Der hier normiere Tatbestand (im Besitz eines befristeten Aufenthaltstitels und voraussichtlich dauerhafter Aufenthalt im Bundesgebiet) gilt nach in Kraft treten der rechtlichen Änderungen für diesen Personenkreis als erfüllt. Gleiches gilt für diejenigen, die eine entsprechende Fiktionsbescheinigung für einen solchen Aufenthaltstitel erhalten haben.

Warum keine analoge Änderung des SGB IX vorgenommen wurde, bleibt unklar. Hier hat der Gesetzgeber im Zusammenhang mit dem Rechtskreiswechsel lediglich die Einführung eines § 150a SGB IX beschlossen, der für Geflüchtete mit Beeinträchtigung und Bedarf an Leistungen der Eingliederungshilfe von Relevanz ist. Es handelt sich um eine Übergangsregelung, die ermöglicht, dass diejenigen, die nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Leistungen erhalten, die den Leistungen der Eingliederungshilfe entsprechen, erst dann Eingliederungshilfeleistungen nach dem SGB IX erhalten, wenn sie auch Leistungen des zuständigen Trägers der Grundsicherung für Arbeitssuchende, oder des Trägers der Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung erhalten. Der Rechtskreiswechsel soll also zum gleichen Zeitpunkt stattfinden.

Hier finden Sie den Gesetzentwurf der Bundesregierung sowie die im Ausschuss für Arbeit und Soziales beschlossenen Änderungen, sowie eine Aufzeichnung und das Protokoll der Parlamentsdebatte.

Carola Pohlen, Referentin Behinderten- und Psychiatriepolitik beim Paritätischen Gesamtverband