BAG-Entscheidung: Arbeitgeber zu Zeiterfassung verpflichtet

In einem Grundsatzurteil hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) festgestellt, dass Arbeitgeber*innen verpflichtet sind, ein Arbeitszeiterfassungssystem einzuführen.

Arbeitgeber und Betriebsrat stritten in dem Verfahren darüber, ob dem Betriebsrat ein Initiativrecht bei der Einführung einer elektronischen Zeiterfassung zusteht. 

Bereits im Mai 2019 hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) die EU-Mitgliedsstaaten aufgefordert, die Arbeitgeber*innen zu verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, mit dem die von einem jeden*r Arbeitnehmer*in geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Der deutsche Gesetzgeber hatte hierzu bisher nicht reagiert.

In dem nun entschiedenen Fall ging es darum, dass der antragstellende Betriebsrat und die Arbeitgeberinnen, die eine vollstationäre Wohneinrichtung als gemeinsamen Betrieb unterhalten, im Jahr 2018 eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit geschlossen haben. Zeitgleich verhandelten sie über eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeiterfassung. Eine Einigung hierüber kam nicht zustande. Auf Antrag des Betriebsrats setzte das Arbeitsgericht eine Einigungsstelle zum Thema „Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Einführung und Anwendung einer elektronischen Zeiterfassung“ ein. Nachdem die Arbeitgeberinnen deren Zuständigkeit gerügt hatten, leitete der Betriebsrat dieses Beschlussverfahren ein. Er hat die Feststellung begehrt, dass ihm ein Initiativrecht zur Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems zusteht. Das Landesarbeitsgericht Hamm hat dem Antrag des Betriebsrats stattgegeben.

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberinnen hatte vor dem BAG jedoch Erfolg. Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) in sozialen Angelegenheiten nur mitzubestimmen, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht. Mit anderen Worten: Ein Mitbestimmungsrecht besteht nur, wenn und soweit die betriebliche Angelegenheit nicht schon gesetzlich geregelt ist. Dem BAG nach ist dies hier aber der Fall. Es besteht in Deutschland bereits eine (vorrangige) gesetzliche Regelung zur Arbeitszeitfassung. Das BAG macht dies an § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) fest. Nach dieser Vorschrift hat der Arbeitgeber zur Planung und Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter anderem für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen. Bei unionsrechtskonformer Auslegung dieser Regelung ist der Arbeitgeber, so das BAG, gesetzlich verpflichtet, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer*innen zu erfassen. Dies schließt ein Initiativrecht des Betriebsrats zur Einführung eines Systems der Arbeitszeiterfassung aus.

Auswirkungen der Entscheidung des BAG – erste Schlussfolgerungen:
Die Auswirkungen dieser Entscheidung sind in der Tat enorm. Denn das ArbSchG gilt für alle Betriebe in Deutschland, unabhängig von ihrer Größe und ob ein Betriebsrat gebildet wurde oder nicht. Mithin sind ab sofort alle Arbeitgeber zu einer umfassenden Arbeitszeiterfassung ihrer Arbeitnehmer*innen aufgerufen. Ob es dazu bestimmte Vorgaben oder auch Einschränkungen oder Ausnahmen gibt, sind bisher nicht bekannt. Die Entscheidungsgründe, die hierüber möglicherweise Aufschluss geben werden, liegen bisher nicht vor.

Eine Einordnung möglicher Schlussfolgerungen, und mögliche Auswirkungen finden Sie in der Fachinformation von des Paritätischen Gesamtverbandes. Sobald der vollständige BAG-Beschluss mit den Entscheidungsgründen veröffentlicht wird, werden die Fachinformationen des Gesamtverbandes regelmäßig aktualisiert.